Christoph Jehle
Die Abkehr von langfristigen Gasverträgen mit Russland hat Deutschland in neue Abhängigkeiten getrieben. Mit ungeahnten Folgen für die Preise.
Dass die deutsche Energieversorgung seit Jahrzehnten eher planlos verläuft, sieht man auch bei der Gasversorgung. 2015 übernahm der russische Gazprom-Konzern zu einhundert Prozent die Kontrolle über die deutschen Gasspeicher des Versorgers Wintershall, der damals zum Konzern BASF gehörte.
Deutschland hat die Gasgeschäfte der BASF-Tochter Wintershall mit Bürgschaften über mehrere Milliarden Euro abgesichert – darunter 1,8 Milliarden Euro für das entscheidende Geschäft, das die deutschen Gasspeicher endgültig in die Hände von Gazprom und damit des russischen Staates legte.
Correctiv, Juni 2022
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Die Dokumentation über diesen Verkauf scheint unter der damaligen Regierung Merkel so geheim gehalten worden zu sein, dass es der nachfolgenden Ampel schwerfiel, die entsprechenden Dokumente aufzufinden.
Die ehemals an Gazprom verkauften deutschen Gasspeicher von Astora Dimension wurden dann im Jahre 2022 mit der damaligen deutschen Tochter des russischen Gazprom-Konzerns, der Gazprom Germania, unter staatliche Aufsicht gestellt. Das ist zwar keine Enteignung, aber Gazprom Germania darf ohne Zustimmung der Bundesnetzagentur keine eigenen Entscheidungen mehr treffen.
Damit sollte die deutsche Gasversorgung gesichert werden, dabei war der Speicherbetreiber nur ein Dienstleister, der das Gas für die Gasversorger in den Sommermonaten einspeichern sollte, damit sie in dieser Zeit mit wenig Kundennachfrage ihre Abnahmeverpflichtungen, nach dem Take-or-pay-Verfahren nachkommen konnten und im Winter, wenn die Gasnachfrage wieder stieg, lieferfähig waren.
Mit den Turbulenzen am Gasmarkt, die nicht zuletzt durch die Idee ausgelöst wurden, sich von den Gasimportverträgen mit russischen Anbietern zu lösen und Anbieter aus der westlichen Hemisphäre zu finden, wurde auch die Befüllung der Gasspeicher zu einer Art politisch induziertem Glücksspiel am Markt.
Wechsel von langfristigen Lieferverträgen zu kurzfristigem Kauf am Markt
War der Gasmarkt zu Zeiten der Belieferung durch Gazprom nur durch die regulatorischen Eigenheiten der EU behindert, die forderte, dass 50 Prozent der Leitungskapazitäten der Gasleitungen für einen fiktiven Wettbewerber von Gazprom freigehalten werden mussten, verlief der Gasbezug weitgehend störungsfrei und zumindest nicht teurer als ein Bezug auf dem Weltmarkt.
Die Belieferung durch Gazprom über die vier Röhren von Nord Stream 1 und 2 entsprach keinesfalls den Wünschen des politischen Partners jenseits des Atlantiks und wurde zur Hälfte gar nicht freigegeben und letztlich durch die Sprengung von drei Röhren dauerhaft beendet.
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Mit den unter deutscher Treuhandschaft gestellten Speichern wollte man danach die deutsche Gasversorgung absichern, was zu Beginn letztlich wohl auch ganz erfolgreich war. Dass der Markt zwar immer alles regelt, aber nicht unbedingt im Interesse der Kunden, zeigte sich, als die Lieferketten wieder funktionieren konnten.
Stolperfallen für eine sichere Gasversorgung
Mit der Lösung der langfristigen vertraglichen Gaslieferungen aus Russland hat sich Deutschland inzwischen in neue Abhängigkeiten begeben, die weniger Sicherheiten für eine stabile Versorgung bieten. So stellt Katar als Bedingung für eine Fortsetzung der Belieferung mit LNG die politische Forderung, dass die Europäische Union auf die Anwendung des EU-Lieferkettengesetzes verzichtet.
Die Regierung Trump hat in einer letztlich bisher nicht klar fixierten Abmachung mit der EU-Kommission die Abnahme von mehr Gas aus den USA gefordert, als diese liefern könnten. Zudem übersteigt diese Abnahmemenge auch den Bedarf in den Mitgliedsstaaten der EU. Gut, wenn man dann in Deutschland über freie Speicherkapazitäten verfügen könnte.
Noch ist allerdings nicht geregelt, wer diese Gasmengen bezahlen soll. Es wäre kaum verwunderlich, wenn zur Befolgung der US-Wünsche Steuergelder zum Einsatz kommen würden, die aus anderen Ressorts wie Entwicklungshilfe oder Soziales verschoben würden.
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Zu den zusätzlichen Unsicherheiten bei der deutschen Versorgung mit Erdgas kommt dazu noch die politisch gewünschte Marktorientierung der Gaswirtschaft. Seit man sich von der Planwirtschaft der Gasversorgung aus Russland entkoppeln will, muss man sich in einer Form mit den Eigenheiten des Marktgeschehens arrangieren.
So haben die Aussichten, dass die Gasspeicher wieder befüllt werden müssen, dafür gesorgt, dass der Markt das Gas im Sommer teurer als im Winter werden ließ. Allein aufgrund der Marktgegebenheiten sollten dann die Gasspeicher erst später gefüllt werden, in der Hoffnung, dass man so den Markt austricksen könne.
Dass unregulierte Märkte schneller und damit auch agiler reagieren können, ist eine Erfahrung, welche die Gaswirtschaft jetzt auch in Deutschland machen darf. Anders als Märkte in Asien wird eine staatliche Unterstützung der Gasversorger hierzulande nicht zu erwarten sein, solange das Motto gilt, "der Markt wird es richten".
Flexible Tarife wie bei der Stromversorgung könnten hier eine Lösung darstellen, um den Druck aus dem System zu nehmen und auf die Endkunden überzuwälzen.